Bayern

Mainfranken-Rhön

Offener Brief an MdL Thorsten Schwab

Stellungnahme des VCD KV Mainfranken-Rhön zu den Äußerungen des Landtagsabgeordneten Thorsten Schwab in der Mainpost am 29.12. 2021 über vermeintliche Reaktivierungschancen von Bahnstrecken in Unterfranken.

Seinen Äußerungen widersprechen wir und weisen ihn durch diesen offenen Brief auf sachliche Fehler hin.

Würzburg, 10.01.2022

 

Betr.: Offener Brief zu Ihren Äußerungen zur Reaktivierungswürdigkeit von Bahnstrecken in Unterfranken (MAINPOST vom 29.12.2021)

 

Sehr geehrter Herr Schwab,

wie in der Mainpost am 29.12. 2021 berichtet wurde, hatten Sie sich zu den Reaktivierungschancen von Bahnstrecken in Unterfranken geäußert und die Meinung vertreten, die Werntalbahn sei die einzige Strecke in Unterfranken, bei der eine Reaktivierung Sinn macht. Dieser Aussage möchten wir widersprechen und Sie auf weitere sachliche Fehler hinweisen, die Ihnen unterlaufen sind. Die politische Diskussion sollte auf der Basis korrekter Fakten erfolgen und nicht auf der Grundlage von Behauptungen, die jeder sachlichen Grundlage entbehren.

Mainschleifenbahn und weitere Reaktivierungsprojekte

Zum einen möchten wir darauf hinweisen, dass die Mainschleifenbahn Volkach - Seligenstadt bereits die Kriterien für eine Reaktivierung erfüllt und daher in diesem Jahr von den kommunalen Gebietskörperschaften eine Betriebsgesellschaft gegründet wurde; die Betriebsaufnahme ist für 2026 /2027 geplant. Auch wird nach Ankündigung der BEG die Potentialanalyse zur Reaktivierung der Bahnstrecke Lohr Bahnhof - Lohr Stadt aktuell erstellt und soll bis Februar 2022 abgeschlossen sein. Auch die Reaktivierung der Bachgaubahn Aschaffenburg – Großostheim ist in der Diskussion.  Halten Sie alle diese möglichen Reaktivierungen für nicht sinnvoll?

Verbrauchskennzahlen falsch angegeben

Zum anderen argumentieren Sie hinsichtlich der Reaktivierung der Steigerwaldbahn mit falschen Zahlen. Sie gehen offenbar davon aus, dass auf einer reaktivierten Steigerwaldbahn Personenzüge mit alten Dieselloks fahren würden. Auf den zahlreichen nicht elektrifizierten Nebenbahnen in Bayern sind im Personenverkehr jedoch bereits seit 30 Jahren Triebwagen unterwegs, die nicht, wie von Ihnen behauptet 300, sondern ca. 70 Liter Diesel pro 100 km verbrauchen – so der auch in Unterfranken häufig eingesetzte Typ „RegioShuttle“ mit 76 Sitzplätzen. (Unsere Quelle sind mehrere Eisenbahnverkehrsunternehmen – Sie können gerne auch selbst bei der Deutschen Bahn oder Erfurter Bahn nachfragen.) Pro Sitzplatz liegt der Verbrauch also bei unter 1 l/100 km, was ein Linienbus mit ca. 30 Sitzplätzen nicht erreicht. Der Grund für die bessere Energieeffizienz der Bahn, die auch durch die Zahlen des Umweltbundesamtes bestätigt wird, ist der geringere Rollwiderstand beim Rad-Schiene-System, der zu den Hauptvorteilen der Bahn gehört.

Moderne Technologien bereits in Serie

Dieser Energie-Effizienzvorteil wird noch vergrößert durch den Einsatz moderner Akku- oder Wasserstofftriebwagen, der in anderen Bundesländern bereits erfolgt bzw. fest eingeplant ist. Beispiele hierfür sind Niedersachsen (Wasserstofftriebwagen im Elbe-Weser-Netz bereits in Betrieb), Hessen (Taunusnetz mit Wasserstofftriebwagen ab 2023), Schleswig-Holstein (Ersatz aller Dieseltriebwagen durch Akkutriebwagen ab Ende 2022), Baden-Württemberg (Ortenaunetz sowie reaktivierte Hermann-Hesse-Bahn mit Akkutriebwagen ab 2023) und Rheinland-Pfalz (Akkutriebwagen ab 2025).

Elektrifizierung kein angemessenes Kriterium

Die fehlende Elektrifizierung der Steigerwaldbahn kann angesichts einer mageren Elektrifizierungsrate von 55% in Bayern (bundesweit 61%) kein Argument gegen die Reaktivierung sein; auch andere Strecken, welche vom Freistaat als reaktivierungswürdig eingestuft sind, wie z.B. die Mainschleifenbahn, sind nicht elektrifiziert. Es gibt zahlreiche Hauptstrecken, die immer noch auf elektrische Oberleitungen warten – dies ist aber eine andere Baustelle der bayerischen Politik, die vor allem den Straßenbau vorangetrieben, die Bahn aber vernachlässigt hat.

Auslastungsspitzen berücksichtigen

Wenn Sie bei einem Stundentakt 33 Fahrgäste je Zug errechnen, so vergessen Sie, dass die Nachfrage sich sehr ungleichmäßig auf den Tag verteilt. In den Spitzenstunden braucht es daher im Zulauf auf Schweinfurt schon heute mehrere Busse, während der Zug Platzreserven hat. Vor allem wird ein Zug erfahrungsgemäß besser angenommen als ein Bus. Wer muss, fährt Bus, wer kann, fährt Bahn – das werden Ihnen viele ÖPNV-Nutzer*innen bestätigen. Niemand fährt freiwillig längere Strecken im Linienbus über die Dörfer. Wir brauchen aber für die Zukunft einen deutlich attraktiveren ÖPNV auch auf dem Land; andernfalls sind die Klimaziele nicht zu erreichen. Ihre Berechnungen sind nicht in die Zukunft gedacht, sondern gehen von einem unveränderbaren Anteil des ÖPNV aus. Dabei ist es notwendig, die Bahn als Gesamtsystem zu betrachten: Die Züge auf den elektrifizierten Hauptstrecken werden nur voll, wenn es auch Zulaufstrecken gibt. Den Umweltvorteil der Bahn im Personenverkehr insbesondere gegenüber dem Individualverkehr (wie auch – in noch deutlich stärkerem Maße – im Güterverkehr gegenüber dem Lkw) können Sie in den Publikationen des Umweltbundesamtes nachlesen (siehe unten). Wie auch im Fall der Corona-Pandemie sollten wir uns hier auf die Berechnungen von Experten stützen, statt eigene Berechnungen durchzuführen, die wesentliche Aspekte unberücksichtigt lassen.

BEG sieht die Steigerwaldbahn unter den Top 20 der Nebenbahnen

Eine interessante Aussage trafen die BEG-Vertreter im Schweinfurter Stadtrat kürzlich bei der Vorstellung der Potenzialprognose zur Steigerwaldbahn: Diese würde hinsichtlich der Fahrgastzahlen unter den über 50 Nebenbahnen in Bayern zu den Top 20 gehören. Diese Aussage hat die BEG uns auf Nachfrage im Nachhinein noch belegt. Das heißt, es gibt in Bayern 30 Nebenbahnen, die geringere Fahrgastzahlen aufweisen und die dennoch in Betrieb sind. Augenscheinlich wurden in manchen Gegenden Bayerns in den 1970er/1980er Jahren eifriger Strecken stillgelegt als in anderen. In anderen Bundesländern (so u.a. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen) hat man bereits zahlreiche Strecken mit Erfolg reaktiviert. Nur in Bayern scheint man nicht zugeben zu können, dass die eine oder andere Stilllegung ein Fehler war, dass das einseitige Setzen auf Straßenbau sich immer mehr als Irrweg erweist, dass die Fahrgastzahlen aufgrund des schlechten Angebotes niedrig waren, dass ein gutes Angebot (etwa Stundentakt mit modernen, komfortablen und schnellen Triebwagen) aber gut angenommen wird.

Werntalbahn stark reaktivierungswürdig

Was die Werntalbahn anbelangt, so stimmen wir Ihnen zu, dass die Wiederaufnahme des Personenverkehrs (über die bereits verkehrenden zwei Wochenend-Zugpaare hinaus) erstrebenswert ist. Dabei erscheint es uns als VCD essentiell, die überregionalen Verkehre in den Blick zu nehmen, etwa mit durchgehenden Regionalexpresszügen Bamberg – Schweinfurt – Gemünden – Aschaffenburg – Frankfurt. Diese würden aufgrund der „Abkürzung“ über die Werntalbahn von Bamberg/Schweinfurt nach Aschaffenburg/Frankfurt vergleichbare Fahrzeiten wie Umsteigeverbindungen über Würzburg mit Regionalbahn und ICE anbieten und daher einen hohen Nutzen für das Gesamtnetz erzielen. Für diese Züge ließen sich dann mit überschaubarem Aufwand (Wiedererrichtung der Bahnsteige) in Arnstein und Thüngen/Eußenheim Zwischenhalte einrichten. Regionalbahnen zwischen Gemünden und Schweinfurt mit Halt an zahlreichen Unterwegsbahnhöfen würden aufgrund der geographischen Lage der Strecke nach unserer Einschätzung ein eher geringes Potenzial ergeben. Einmal mehr erweist sich hier die Zweifelhaftigkeit des 1000er-Kriteriums. Es fahren ja bereits einzelne Personenzüge über die Strecke und es geht um die Einrichtung von Unterwegshalten und mehr Zügen. Flexible Lösungen sind möglich (mehr oder weniger Züge, mehr oder weniger Unterwegshalte) und das Anlegen eines starren Kriteriums macht da ganz offensichtlich keinen Sinn.

Wir bitten Sie als Mitglied des Verkehrsausschusses des Bayerischen Landtags, Ihre Kenntnisse über den Eisenbahnbetrieb auf den neuesten Stand zu bringen, nicht mit Gegebenheiten von vor 40 Jahren zu argumentieren und differenzierter hinzuschauen, wenn es um die Weiterentwicklung des Bahnverkehrs in Bayern geht. Andernfalls droht Bayern bei der Verkehrswende und im Klimaschutz den Anschluss zu verlieren – die allgemeinen Entwicklungen in dieser Hinsicht machen schließlich auch vor Bayern nicht Halt.

 

Mit freundlichen Grüßen

VCD Kreisverband Mainfranken Rhön

Lore Koerber-Becker (Vorsitzende)
Julian Glienke (Vorstandsmitglied)


Link auf den Pressebericht der Mainpost

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